Die Anfänge des Holztechnikums

Unerwartetes Scheitern und rascher Neubeginn

Die Lorbeeren als Gründer der ersten deutschen privaten Holzfachschule gebühren ihm: Ernst Schlegel. Der Maschinenbauingenieur eröffnete am 1. Januar 1925 das Rosenheimer Holztechnikum, für das er als Schuldirektor persönlich haftete. Der Unterrichtet startete am 12. Januar im Weinhaus Fortner am Max-Josefs-Platz mit einem Vorkurs, drei Studenten und zwei Fachlehrern. In seiner Eröffnungsrede wies Schlegel die Studenten darauf hin, „ihr Studium mit allem Fleiß und Aufmerksamkeit zu betreiben, damit sie später in der Praxis voll ihren Mann stellen können zur Ehre ihrer selbst und der Schule …“ In aufeinander aufbauenden Kursen sollten Werkmeister in zwei, Techniker in drei und Ingenieure für die Holzindustrie in vier Semestern ausgebildet werden. Den Kursen war ein Vorkurs vorgeschaltet. Für den Ingenieurkurs genügte die Obersekunda-Reife, also sechs Jahre Gymnasium oder Realschule. Ansonsten reichte ein Volksschulabschluss. Im Oktober studierten bereits 60 Schüler am Holztechnikum. Im Dezember war Ernst Schlegel insolvent und verließ fluchtartig Rosenheim. Für sein Scheitern machte er „die ständige Verweigerung jeglicher Unterstützung und die Feindseligkeit der lokalen Holzkreise“ verantwortlich. Was war passiert?

An Gescheiterte erinnert man nicht gerne. Über Ernst Schlegel ist nur wenig bekannt. Er wurde 1874 in Waren, einer Kleinstadt an der Mecklenburgischen Seenplatte, als Sohn eines Direktors einer Maschinenbaufachschule geboren. Zunächst schien der ehrgeizige und mit Elan Ausgestattete für die Schulgründung in Rosenheim der richtige Mann. Als Maschinenbauingenieur begeisterten ihn die Dynamik und der industrielle Aufschwung. Am Technikum Mittweida hatte Schlegel als Dozent erlebt, wie sich das private Lehrinstitut dank regionaler Unterstützung rasch zur wichtigsten höheren Ausbildungsstätte für Maschinenbau-Ingenieure etablierte. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete er als Beamter im Generalstab und sammelte sowohl praktische Verwaltungs- als auch Politikerfahrung. Und: Als 50-Jähriger besaß er den Mut, sich beruflich und örtlich neu zu verorten: Nach dem Ersten Weltkrieg ließ er sich in Bad Aibling als Leiter eines Sägewerks nieder – und begann von vorne.

Auf einer Versammlung der Rosenheimer Holzbörse lernte er den Sägewerksbesitzer Hugo Laue kennen – eine Schlüsselfigur im Rosenheimer Holzhandel. Beide Männer teilten eine Vision: die Gründung einer höheren Fachschule für den Führungsnachwuchs des Holzgewerbes, das sich im Übergang zur industriellen Fertigstellung befand. „Der außerordentliche Fortschritt der Technik und das Aufblühen der Industrie in allen Zweigen ist letzten Endes auf die in den technischen Schulen systematisch geförderte geistige Ausbildung zurückzuführen. (…)  Nur die Holzindustrie, die ebenfalls von Jahr zu Jahr an Umfang zunahm, hatte bisher noch keine besondere Stätte, wo dem Nachwuchs die Erfahrungen aus Theorie und Praxis, wie in den oben genannten Fächern der Technik, gelehrt wurde“, so Schlegel im Leitbild des Holztechnikums.

„Es war nicht nur Waghalsigkeit, sondern schon mehr Torheit"

Hugo Laue gründete daraufhin 1924 gemeinsam mit Vertretern der Sägeindustrie, der Sägemaschinenbranche, dem Baugewerbe und der Stadtverwaltung den „Verein zur Förderung einer Holzfachschule“. Ein finanzielles Risiko wollte allerdings niemand eingehen. „Um ihn nicht mit dem Risiko und der Verantwortung zu belasten, welche eine vereinseigene Schule und ihre ins Einzelne gehende Führung mit sich bringen mussten, wurde beschlossen, den erwähnten Ingenieur als Direktor und Träger der Schule einzusetzen“, erläuterte Hugo Laue in seinen Erinnerungen und fährt fort: „Es war nicht nur Waghalsigkeit, sondern schon mehr Torheit, um in Rosenheim eine kleine Gemeinde zusammenzutrommeln, um das Projekt in Angriff zu nehmen, und zwar mit viel zu schwachen Kräften.“

Ernst Schlegel war damit von Anfang an in einer schwierigen Situation und wurde Opfer einer feingesponnenen Intrige. Denn die Neugründung wurde von Ludwig Horstmann, einem Rosenheimer Holzhändler und Gründer des „Sägevereins Rosenheim und Umgebung“, hintertrieben. So verhinderte Horstmann Aufrufe in Zeitungen und hielt Eingaben an den Rosenheimer Magistrat und das Kultusministerium in München zurück. So schrieb Ernst Schlegel an das ihm sehr gewogene „Zentralblatt für den deutschen Holzhandel“ bereits am 19. Januar 1925: „Ich fange aber auf jeden Fall an und wenn es nur mit einem Schüler sein soll.“

Vielleicht zeichnete Hugo Laue gegenüber dem neuen Direktor ein zu positives Licht von der Einstellung der Mehrheit der deutschen Holzindustriellen und Holzverbände, die der vieldiskutierten Idee eines innovativen Fachschulkonzepts ablehnend oder zögerlich gegenüberstanden. Im Raum Rosenheim bezweifelten genügend Sägewerksbesitzer die Notwendigkeit einer höheren Fachausbildung. Ein größeres finanzielles Engagement seitens der Verbände und Industrie war deshalb nicht zu erwarten. Die Ortsgruppe des „Vereins der bayerischen Holzinteressenten“, der Rosenheimer Stadtrat und das Bezirksamt beschränkten sich darauf, einen Bedarf für das Holztechnikum zu attestieren.

Daraufhin duldete die Regierung von Oberbayern das Holztechnikum, ohne es zu genehmigen. Schlegel erhielt zum 1. Januar die Konzession für den Schulbetrieb, insbesondere die Lehrinhalte wurden von Praktikern angezweifelt. Das Holztechnikum sollte sich aus den hohen Schulgeldern finanzieren. Die halbjährigen Semestergebühren für deutsche Studierende betrugen stattliche 175 Reichsmark– das waren 810 Euro im Jahr 1925. Zusätzlich mussten 30 Reichsmark für die Aufnahme und 30 Reichsmark für die Abschlussprüfung berappt werden. Umgerechnet waren dies 135 Euro. Ausländische Studenten zahlten nochmals 10 Prozent mehr.

Der Anfang vom (vorläufigen) Ende

Gut gehen konnte ein solches Konstrukt auf Dauer nicht – zumal Schlegel weder eine Ausbildung im Holzgewerbe besaß noch in der Region verwurzelt noch den Aktivitäten von Horstmann gewachsen war. Dieser wollte in jedem Falle eine höhere Ingenieurausbildung verhindern. Im Mai 1925 schrieb das „Zentralblatt für den deutschen Holzhandel“ an mehrere Sägewerksbesitzer und Holzhändler: „Die Anmeldungen der für die Erhaltung der Schule nötigen Schüler, deren Zahl Herr Schlegel mit mindestens 30 angibt, ist jedoch leider durch die Quertreibereien bedenklicher Art eines Rosenheimer Kollegen aus der Holzbranche, der nicht ohne Einfluss dasteht, gehemmt worden. Dadurch kam Herr Schlegel in finanzielle Schwierigkeiten, die noch verschärft wurden durch die Tatsache, daß er vorhandene Vermögenswerte, ein gutes Hausgrundstück in Bad Aibling, nicht in disponibles Geld zu verwandeln vermochte.“

Im Sommer 1925 wurde deutlich, dass das Institut ohne finanzielle Unterstützung von Holzindustrie, Verbänden, Regierung oder Stadt nicht lebensfähig war. Doch jeder wartete ab, wollte erst Ergebnisse sehen und lehnte Schlegels Bitten um Unterstützung ab. So heißt es im Stadtratsprotokoll vom Juni 1925: „Dem Gesuch um eine einmalige Subvention von 5.000 Mk. zum Fortbetrieb des Holztechnikums kann eine Folge nicht gegeben werden, weil nach der Überzeugung des Stadtrates, welche durch die Anschauung von Fachleuten gestützt wird, das Holztechnikum in seiner jetzigen Aufmachung nicht lebensfähig erscheint.“ Die Regierung von Oberbayern drohte, im Oktober die Duldung der privaten Holzfachschule zurückzunehmen. Die Verwendung des Schultitels „Holztechnikum Rosenheim“ wurde Schlegel untersagt. Die Polizeidirektion Rosenheim war angehalten, Schlegel vorzuladen.

Erneut beklagte sich Schlegel, inzwischen sarkastisch geworden, Ende Juli 1925 bei dem Zentralblatt: „... es scheint fast so, als ob die Verbände den Glauben haben, daß irgendein Menschenfreund mit großem Kapital eine fix und fertige, erstklassige und vom Staat väterlich betreute Schule hinsetze.“ Der „Verein zur Förderung einer Holzfachschule“ versuchte noch im September, die Schule zu unterstützen, Schlegel zu halten und den Lehrplan an die Bedürfnisse des Kultusministeriums anzupassen. Auch die Idee, dass die Schule von einer Vereinigung aus Holzfachkreisen übernommen werden könnte, wurde bei der Sitzung besprochen. Doch die Lage spitzte sich weiter zu. Schlegels Angebote, die Schule an einen Verband abzugeben, wenn ihm seine Ausgaben zurückerstattet würden und er eine Entschädigung erhielte, verhallten ins Leere.

Schlegels Flucht aus Rosenheim

Im Oktober kam es zu Protesten von Schülern, denen die Unsicherheit des Schulunternehmens nicht entgangen war. Im November konnte Schlegel die Lehrer nicht mehr bezahlen, worauf diese die Arbeit niederlegten. Dem Druck nicht mehr gewachsen, floh Schlegel aus Rosenheim – die Schulakten nahm er mit. Die Stadt Rosenheim ließ daraufhin seine Villa versteigern. Der Verkauf erlöste nur 7.500 Mark. Gläubiger blieben zurück. In seiner Verbitterung versuchte der Maschinenbauer, die Schuld bei den Rosenheimer Protagonisten zu suchen, potenzielle Interessenten vom Studium in Rosenheim abzuhalten und das Holztechnikum medial zu bekämpfen. Im Frühjahr 1926 erhielt der frühere Direktor Hausverbot. Alle seine Versuche, weitere höhere Holzfachschulen zu gründen, scheiterten ebenfalls.

Ende 1925 schien es mehr als fraglich, ob das Holztechnikum noch zu retten sei. Am 7. Dezember meldete der Stadtrat, dass der Ingenieur Schlegel sämtliche Zahlungen eingestellt und sich als Unternehmer und Direktor der Fachschule zurückgezogen habe. In einem Bericht des Rosenheimer Stadtrats an die bayerische Regierung vom 7. Dezember hieß es: „Die Frage, wer weiter Unternehmer der Schule wird, ist allerdings noch nicht geklärt. Es handelt sich bei der Schulvereinigung in der Hauptsache darum, die ca. 60 Schüler noch wenigstens bis zum Beginn der Weihnachtsferien zusammenzuhalten, um dann um die Jahreswende die Neuorganisation zu schaffen. Wir bezweifeln, ob dieses gelingt, denn die Schulvereinigung ist bis jetzt ein ganz loser Verein.“

Hugo Laue übernimmt das Ruder

In dieser fast aussichtslosen Situation nahm der Sägewerksbesitzer Hugo Laue das Heft des Handelns in die Hand. Offenbar bedurfte es erst eines Paukenschlags, damit die Stadt, die Regierung von Oberbayern sowie Holzbetriebe und Verbände sich verbindlicher für das Holztechnikum engagierten.  Ernst Schlegel wurde aus den Annalen des Holztechnikums und der späteren Ingenieurschule gestrichen und mit keinem Wort erwähnt.„Der Fehlschlag war umso ernster, weil sich die Schwierigkeiten und Widerstände, die ohnehin schon große waren, nun erhöhten und verschärften“, kommentierte Hugo Laue das drohende Scheitern seines Herzensprojekt im Dezember 1925. Ein Aufgeben kam für ihn nicht in Frage, hatte er doch seine Reputation an die erfolgreiche Einrichtung des Holztechnikums gebunden. Ende 1925 gelang es ihm innerhalb von drei Wochen, die meisten Widerstände zu beseitigen: Nach den Weihnachtsferien 1926 wurde der Unterricht unter dem neuen Direktor, Conrad Iranyi, fortgesetzt. Die aufgepeitschte Situation beruhigte sich. Laue und zwei weitere Unternehmer gewährten dem Schulverein Darlehen, um die Lehrergehälter nachträglich zu zahlen, die sie nie zurückerhielten.

Bereits im Herbst 1925 hatte sich Hugo Laue bei seinem Besuch im Kultusministerium der Unterstützung des Regierungsrats Adolf Hezner versichert, der sogar eine spätere Verstaatlichung in Aussicht stellte. „Nur eine Neugründung unter Verwertung der gemachten Erfahrung war geeignet, die Scharte auszuwetzen. Ich trat 1925 den Canossagang zum Kultusministerium in München an“, erinnert sich Laue. Während dessen Referenten das Holztechnikum schließen wollten, war Hezner bereit, der Privatschule eine zweite Chance einzuräumen. Den Neustart knüpfte er allerdings an die Zusage des Schulvereins, die Trägerschaft zu übernehmen. Die Stadt Rosenheim wird verpflichtet, für geeignete Unterrichtsräume zu sorgen. Der Schulbetrieb darf probeweise bis zum 1. April 1926 fortgeführt werden.

Neue Räumlichkeiten geben Schub

Dann geht es Schlag auf Schlag. Der zweite Bürgermeister Rosenheims Theodor Gietl stellte dem Schulverein ab Januar 1926 unentgeltlich Unterrichtsräume in der Prinzregentenstraße 62 zur Verfügung, obgleich der Haushalt der Stadt durch die Folgen des Ersten Weltkriegs, der bayerischen Revolution und der Inflation stark gelitten hatte. „So konnte jetzt erstmals ein geordneter Unterricht für das 1. und 2. Semester erfolgen, da die Räumlichkeiten bestens geeignet waren“, berichtete der erste Student des Holztechnikums, Ägidius Spitzl.  

Am 30. Dezember 1925 fand in der Gaststätte „König Otto“ die Gründungsversammlung des Schulträgervereins statt. Hugo Laue erreichte, wichtige Player zum Eintritt zu überzeugen, wie Theodor Gietl für die Stadt Rosenheim, Josef Michel, den Hauptgeschäftsführer des „Süddeutschen Sägevereins“, Franz Ludwig für die Handwerkskammer München oder die Holzindustriellen Georg Aichner, Otto Steinbeis und Johann Klepper, den Erfinder des „Klepper-Faltboots“. Der Schulverein wurde bis zur Verstaatlichung des Holztechnikums 1943 Träger. Auch der Namensstreit, der mit dem Kultusministerium entbrannte, ließ sich lösen: Das Holztechnikum blieb das Holztechnikum.

Es gehörte zu den besonderen Verdiensten des Sägewerksbesitzers, dass er von Beginn an die Studierenden einbezog und gute Kontakte zu den Studentenverbindungen „Teutonia“ und dem „Club Holz Technikum Rosenheim“ pflegte. Die Studierenden wurden an der Lehrplangestaltung beteiligt. „In den Jahren 1926/27 kam es zu häufigen, oft recht lautstarken Demonstrationen der Studierenden vor dem Direktionszimmer über Wünsche der Lehrplangestaltung, wobei die älteren, praxiserfahrenen mit den Dozenten auch in disziplinierter Form diskutierten“, erinnerte sich Alfred Langbein. Laue regte an, dass der „Club Holz Technikum Rosenheim“ Diskussionsabende mit dem Direktor des Holztechnikums veranstaltete, um Brücken zwischen Lehrkörper und Studierenden zu schlagen. Außerdem sorgte er dafür, dass den Forderungen des Bayerischen Kultusministeriums nicht nachgegeben wurde, die Studierendenverbindungen aufzulösen.

Genehmigung durch die Regierung

Hugo Laue brachte die Medien auf seine Seite, die für das Holztechnikum werben. Außerdem startete der Schulverein eine beispielslose Werbeaktion, um Holzindustrielle und Verbände von finanziellen Zuschüssen zu überzeugen. 1926 zählte der Förderverein bereits 90 Mitglieder. Sogar der wichtige „Verband der Holzverarbeitenden Industrie“ konnte auf Dauer gewonnen werden. Im März 1926 genehmigte die Staatsregierung die private Fachhochschule für Holzwirtschaft in Rosenheim rückwirkend zu 1. Januar, die sich künftig „Holztechnikum Rosenheim“ nennen durfte. Rosenheimer Bürger und Unternehmen stifteten kleinere Geldbeträge, um die Finanzlücke von rund 4.000 RM zu decken. Vor allem Großindustrielle und einige Holzverbände blieben zunächst bei ihrer abwartenden bis ablehnenden Haltung.Eine erstaunliche Gleichgültigkeit bestand anfangs in Fachkreisen der Neugründung gegenüber. Es kostete unablässige Bemühungen, sie zu überwinden“, erzählte Hugo Laue in seinen Erinnerungen.

Auch die Rosenheimer Kommunisten bekämpften die geplante Gründung des Holztechnikums. Seit dem Ende der Rosenheimer Räterepublik waren die Kommunisten für die Bürger zu Angstgegnern geworden. Bei den Stadtratswahlen 1924 erhielten sie noch 8,5 Prozent. Im Winter 1925 machten die Kommunisten mit Flugblättern gegen das Holztechnikum mobil. „Unternehmersöhnchen aus allen Teilen Deutschlands werden hier zu Arbeiterschindern ausgebildet“, hieß es dort. Um ihren Argumenten Nachdruck zu verleihen, behaupteten die Kommunisten, die Stadt Rosenheim wolle das Holztechnikum mit 12.000 Reichsmark unterstützen. Tatsächlich besuchten am Anfang viele Söhne von Möbelfabrikanten und Sägewerksbesitzern das Holztechnikum.

Finanzielle Sorgen begleiteten den Schulverein bis zur Verstaatlichung. Dieser war darauf angewiesen, über 50 Prozent des Etats über Zuschüsse der Industrie und der Verbände zu sichern. Die bayerische Regierung übernahm die Defizite. Die Stadt Rosenheim gewährte jährliche Zuschüsse, 1930 beispielsweise 6.000 RM zusätzlich zur erlassenen Miete im Schulgebäude. Hugo Laue musste alljährlich vor allem bei der Großindustrie um Unterstützung ringen: „Die Aufbringung der erforderlichen Mittel bereitete jährlich die größten Sorgen.“ Als Vorsitzender kümmerte sich Hugo Laue um alle Fragen der Holzschule persönlich und versuchte vergeblich, die Verstaatlichung der Schule zu erreichen. Mit dem Kultusministerium diskutierte er über die an die Bedürfnisse der Industrie stetig angepassten Lehrpläne und die Qualifikation des Personals, bei Tagungen hielt er Vorträge, um die Holzfachverbände zu überzeugen. „Lange Zeit nahmen mich die Aufgaben des Schulvereins und des Holztechnikums mehr in Anspruch als mein Geschäft.“

Zahl der Studenten steigt rasant an

Und: Hugo Laues unermüdlicher Einsatz zeigte Früchte: Zum Wintersemester 1929/30 war die Studentenzahl rasant auf 130 angestiegen. Es sprach für die hohe nationale und internationale Reputation, dass eine große Gruppe aus Nicht-Bayern bestand. Unter den 105 Studenten des Holztechnikums zum Wintersemester 1930/31 befanden sich 42 aus Bayern gegenüber 52 aus anderen Ländern, namentlich aus Preußen. 14 stammten aus dem Ausland, vor allem aus Österreich, der Schweiz, Italien, Rumänien, Jugoslawien und Polen. Die Studentenschaft war bunt gemischt und sozial inhomogen. Junge Waldarbeiter schrieben sich ebenso an der Hochschule ein wie gestandene Söhne von „Rittergutsbesitzern oder von Großindustriellen“ mit Abitur und Studium. Zu erklären ist die Zusammensetzung durch die Tatsache, dass das Holztechnikum eine viersemestrige Technikerausbildung und eine zweisemestrige Werkmeisterausbildung anbot.

In dem Direktoriumsbericht 1928/29 hieß es deshalb: „Es darf nicht verkannt werden, dass die großen Bildungs- und Altersunterschiede der Schülerschaft sowie auch deren verschiedenartige Schulbildung viel höhere Anforderungen an die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrer stellen, als dies an anderen Schulen der Fall ist, welche mit einem homogenen Schülermaterial rechnen können.“ Die Studenten verhielten sich „mustergültig“ und diszipliniert und wetteiferten als Mitglieder der „Teutonia“ oder des „Clubs von Rosenheim“ um gute Noten.

Der Unterricht am Holztechnikum verlief verschult. Die Studenten waren verpflichtet, sowohl am Unterricht als auch an Betriebsbesichtigungen und Exkursionen teilzunehmen. Besonderer Wert wurde auf Disziplin und Ordnung gelegt. Wer nicht spurte, hatte mit Strafen zu rechnen. So hieß es in der Satzung: „Ungenügend begründetes Fortbleiben vom Unterricht, Störung desselben, ungebührliches Verhalten gegenüber der Direktion, Lehrern, Mitschülern, oder Personal, bewusste Schädigung des Rufes der Anstalt nach außen, Ausschweifungen, Störung der öffentlichen Ruhe etc. werden nicht geduldet und unterliegen der disziplinaren Behandlung.“

Neuer Direktor an der Spitze

Mit Franz Uterharck gelang es 1928, einen neuen Direktor zu gewinnen, der dem Holztechnikum bis zu seiner Pensionierung bis 1945 vorstand und damit für die notwendige Stabilität in Krisenzeiten sorgte. Ihm ist es zu verdanken, dass trotz schlechter Bezahlung und fehlender Rentenzahlungen engagierte Lehrer aus der Industrie am Holztechnikum unterrichteten. „Trotz der erheblichen Belastung durch den Unterricht und der umfangreichen Vorbereitungen für denselben arbeitet der Lehrkörper in einer Anzahl von Ausschüssen der Industrie und Wissenschaft mit (…). Es hat sich herausgestellt, dass sich der Aufgabenkreis des Holztechnikums nicht auf die reine Lehrtätigkeit beschränken kann, sondern daß auch eine immer wachsende Forschungstätigkeit auf den einzelnen Fachgebieten hinzukommt“, vermerkte Uterharck im Direktoriumsbericht 1928/29.

Vor allem regionale Maschinenbaufirmen statteten das Holztechnikum mit den neuesten Maschinen wie Laboratoriumspressen, Exhaustoren oder Modellen und Werkzeugen für den Maschinensaal aus. Andere spendeten Bücher für die Lehrbibliothek. Viele Sägewerksbesitzer führten ihre Betriebe bei den regelmäßigen Sommerexkursionen vor. 1929/30 besichtigten die Studenten beispielsweise 20 Sägewerke in Württemberg und Baden, um auch sozialschwachen Studenten die Möglichkeit zur Mitreise zu ermöglichen. Andere Exkursionen führten nach Tirol, Schweden, Finnland und zur Messe nach Leipzig. Nur so mancher Großbetrieb weigerte sich, wie die „Münchner Neuesten Nachrichten“ in einem Artikel 1929 spitz vermerkten: „Leider versagen viele, insbesondere Großbetriebe nicht nur jede Unterstützung, sie erlauben auch nicht die Besichtigung ihrer Werke. Vielleicht glauben sie, dadurch werdende Konkurrenz verhindern zu können.“

Eine unermüdliche „Propaganda“ und gezielte Öffentlichkeitsarbeit halfen dem Holztechnikum ebenfalls, neue Studenten zu rekrutieren. Auch die Mundpropaganda funktionierte. In den wichtigsten Fachorganen wurden Anzeigen geschaltet und gute Pressekontakte genutzt. In dem Direktionsbericht von 1928/29 stellte Direktor Uterharck zufrieden fest: „Zum richtigen Zeitpunkte in die Presse lancierte Mitteilungen über Entwicklung des Holztechnikums und seine Tätigkeit haben ihre Wirkung auf das Publikum nicht verfehlt. Selbst der Rundfunk wurde in diesem Jahr mit zur Propaganda herangezogen.“ Außerdem gaben die Lehrkräfte des Holztechnikums jährlich ein Mitteilungsblatt mit einer Auflage von 35.000 Exemplaren heraus, das die Fachwelt und Journalisten über Neuigkeiten aus dem Holztechnikum unterrichtete.

1929 schien das Holztechnikum – trotz Finanzlage – auf einem guten Weg. Der Direktor Franz Uterharck äußerte sich zufrieden über das nationale und internationale große Renommee der Schule: „Die Lebensfähigkeit und die Notwendigkeit des Holztechnikums Rosenheim ist nunmehr bewiesen. Für weiteres Wachsen und des Umfanges der Schule und für die Heranbildung tüchtiger Kräfte für die deutsche Holzindustrie werden sich Direktion und Lehrkräfte stets mit größtem Eifer einsetzen.“

Probleme im Zuge der Weltwirtschaftskrise

Gerade als Laue aufatmen konnte, setzte 1929 die Weltwirtschaftskrise ein, die mit dem New Yorker Börsenkrach im Oktober ihren Anfang nahm. Von der Krise, die das Ende der Weimarer Republik einläutete, ist besonders die Sägeindustrie betroffen. Die Schülerzahl sank auf ein Viertel und verschärfte die Finanzsituation des Holztechnikums erneut. Viele Sägewerksbesitzer schickten ihre Söhne nicht mehr auf das Holztechnikum, da das verlangte Schulgeld für sie unbezahlbar wird. 1932 waren nur noch 21 Schüler immatrikuliert. „Dazu kam die allgemeine Verknappung der Geldmittel, die viele junge Menschen, die sonst hierhergekommen wären, vom Studium abhielt, ein Umstand, der bei einer Besserung der Wirtschaft bestimmt wieder zum Vorteil der Schule sich ändern wird“, hieß es in einer Denkschrift von 1934 an das Bayerische Kultusministerium.

Der „Verband der Holzverarbeitenden Industrie“ mit seinen 50 Untergruppen stellte die Zahlungen ein. Andere Verbände und Betriebe konnten den Mitgliederbeitrag des Trägervereins nicht mehr finanzieren. Für das Jahr 1933/34 hatte das Lehrinstitut nurmehr Zuschüsse von 11.000 RM vom bayerischen Kultusministerium und 12.000 RM von der Stadt Rosenheim sowie 1.300 RM aus Schulvereinsbeiträgen erhalten. Als Reaktion sollten Lehrer am Holztechnikum entlassen werden, Lehrmittel konnten nicht mehr angeschafft werden, und die Exkursionen führten nur mehr zu Betrieben in der Rosenheimer Umgebung wie zu den Gebrüdern Aicher, Steinbeis, Hugo Laue oder zur Firma Hamberger.

Im Förderverein wurden Stimmen laut, die Schule zu schließen. Seine eigene Verzweiflung über die fast aussichtslose Lage schilderte der bescheiden auftretende Laue in seinen Erinnerungen: „Sollte alle die jahrelange Mühe und Arbeit vergebens getan, ein Kapital an Zuschüssen und großer Selbstlosigkeit nutzlos vertan sein? Was sollte aus den Lehrern werden? Wo sollten sie eine neue Stellung finden, nachdem die Krise so viele Existenzen zerstörte und nirgends sicher ein wirtschaftlicher Boden vorhanden war?“ 1932 überlegte die Stadt Rosenheim, die ehemalige Präparandenschule anderweitig zu vermieten. Letztlich ist die Rettung des Holztechnikums dem zweiten Oberbürgermeister Theodor Gietl zu verdanken. Auch das bayerische Kultusministerium entschied sich, das Holztechnikum nicht zu schließen, regte aber eine Entlassung von Lehrern an.

Hugo Laues unrühmlicher Abschied

Gedankt hatte man dem unermüdlichen Macher Hugo Laue zunächst nicht: Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, waren Hugo Laues Tage als Vorsitzender des Schulvereins gezählt. Laue war kein NSDAP-Parteimitglied und verurteilte die Judenverfolgung deutlich. Gern nahm der Gemeinderat deshalb 1935 sein Rücktrittsangebot an: Ausgerechnet in dem Jahr, als das Holztechnikum sein Jubiläum groß feierte. „Ich durfte froh sein, mit einem schlichten Abschied und lautloser Einsargung meiner jahrelangen ehrenamtlichen Tätigkeit davon gekommen zu sein.“ Dennoch durfte Laue in der Festschrift zum 10. Jubiläum die Geschichte „seines“ Holztechnikums Revue passieren lassen: „Erweitertes Interesse nationalsozialistischer Organisationen tritt dem Unternehmen zur Seite. Heißer Dank dem Führer (…)“, endet er dort.

1941 verpachtete Laue seinen Betrieb und zog sich ins Privatleben zurück. Dem Holztechnikum blieb er eng verbunden und beriet seinen Nachfolger Hermann Just. Letztendlich setzte er 1943 in Verhandlungen mit dem bayerischen Kultusministerium die Verstaatlichung mit durch. An Laues 85. Geburtstag im Jahr 1954 ehrten Studierende der Verbindung „TWV Teutonia Rosenheim“ ihn mit einem Fackelzug. Zwei Jahre später starb der Familienvater Laue in Rosenheim. Ohne seinen Weitblick und Einsatz würde es heute die Technische Hochschule nicht geben. Seine Verdienste ehren Stadt und Hochschule mit Hörsaal, Straße und Medaille.